Hyperdrive

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minkey
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Re: Hyperdrive

Beitrag von minkey » Di 10. Dez 2013, 16:13

Mir gehts bei den meisten Büchern ja auch so, dass sie für mich nur vordergründig etwas darstellen. In der Unterhaltungsliteratur ist das ja eigentlich auch der Standardfall.
Und in Hyperdrive habe ich erst in der Leserunde entdeckt, was sich alles so verbirgt. Hmm, ich dachte, ich hätte es gut erklärt, aber man sieht es halt oder nicht...

Mal sehen, wie es bei Homunkulus wird. Da dürfte dann ja die Welt der Kinphauren im Vordergrund stehen. Und Ninragon und seinen Themen folgend, befinden wir uns dann damit platt gesagt, in der Welt der 'Unterhaltungsliteratur', im Gegensatz zu der Ninrae-Welt, die ja sozusagen eine Welt der 'Hochliteratur' ist. Ich bin gespannt, wie Horus unter diesen geänderten Rahmenbedingungen schreibt, sicherlich kommerzieller als seine bisherigen Bücher.
Und ob es trotzdem wieder viel Hintergründigkeit gibt...

minkey
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Re: Hyperdrive

Beitrag von minkey » Di 10. Dez 2013, 17:04

Mir fällt dazu gerade noch dieses Bild ein:

http://halbtagsblog.de/schule/mathemati ... eses-bild/

Bild

Den Vergleich zu Mathematik finde ich dabei ziemlich daneben. Es ist viel näher an dem Thema hier dran. Man erkennt dieses Bild oder man erkennt es nicht. Es hat nichts mit Intelligenz zu tun. Es hat nichts damit zu tun, ob es da ist oder lediglich in der Phantasie des Zuschauers entsteht. Es ist definitiv da und wenn man es erkennt, ist es glasklar. Wenn nicht, dann sieht man vielleicht diverse andere Dinge, als Ergebnis seiner eigenen Phantasie, aber nicht dieses tatsächlich abgebildete Bild. Trotzdem ist es jederzeit da.

Es kommt darauf an, wie das Gehirn die einzelnen Punkte des Bildes zusammensetzt, entweder zu dem Gesamtbild oder eben nicht. Und genau so scheint mir das auch hier bei Hyperdrive zu sein, wenn man es sieht, dann ist es plötzlich glasklar und ansonsten ist es nicht vorhanden. Es ist lediglich eine Frage des Blickwinkels. Und wie es scheint, schwer zu erklären.

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Hexodus
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Re: Hyperdrive

Beitrag von Hexodus » Mi 11. Dez 2013, 13:24

Das ist auf jeden Fall ein interessanter Vergleich. Das Bild jedoch könnte einfach auch einfach nur ein schlechtes Bild sein, oder? Das ist es sogar offensichtlich, dennoch erwische ich mich dabei wissen zu wollen, was zum Geier das ist. Ooook, hab ich's - musste ein Stück weg gehen, um das zu erkennen. Cool :mrgreen:

minkey
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Re: Hyperdrive

Beitrag von minkey » Mi 11. Dez 2013, 17:02

Ähnlich wie sich aus dieser zweidimensionalen Ansammlung von Punkten plötzlich eine dreidimensionale Sicht eröffnet, kann es einem auch bei einem Buch ergehen.
Und genau dieser Moment, in dem es Klick macht, in dem sich diese Dreidimensionalität hinter der vordergründigen Geschichte eröffnet (und damit meine ich nicht, dass man sich das vordergründige Geschehen dreidimensional vorstellen kann, sondern dass man die tiefere Wahrheit, die sich dahinter verbirgt erkennt), ist es, was in der Giebra-Cyberszene tatsächlich beschrieben ist. Es ist auch das, was den Hyperdrive-Sprung und damit den Titel ausmacht (die Technologie wird später 'erklärt'. Du bist nur noch nicht an der Stelle.) Und so, wie das dreidimensionale Bild von schlechter Qualität ist und trotzdem klar erkennbar, wenn man es einmal gesehen hat, ist das auch mit der Hintergründigkeit der Szene. Sie wird verwaschen durch die vordergründige Beschreibung, die ja für den Leser präzise und vorstellbar sein muss.

Trotzdem ist es ganz klar da. Wenn man es einmal gesehen hat:

Giebra steht für den Lesertyp, der sozusagen in einem Buch wie in obigem Bild alles erkennt, wie er auch in dem Cyberhack plötzlich statt zweidimensionale Kulissen zu sehen, in die Dreidimensionalität, die sich dahinter eröffnet, eintauchen kann. So wie Du jetzt plötzlich Tiefe in dem Bild erkennen kannst.

Sam B. hingegen steht für den Lesertyp, der sozusagen in obigem Bild nur die zweidimensionale Darstellung sieht. Bzw. auf ein Buch übertragen, die vordergründige Handlung, die durch die Action in der Attentatszene versinnbildlicht wird. Horus verdeutlicht dies dadurch, dass sie sich in der Attentatszene angezogen vom Geschehen fühlt, fasziniert ist von dem Ganzen. Giebra hingegen sieht diese ausschließlich als Bedrohung und möchte schnellstmöglich weg. Es gäbe keinen Grund für Horus, dies zu schreiben, wenn er nicht genau diesen Unterschied zwischen Giebra und Sam B. deutlich machen wollte.

Und wie sich das dreidimensionale Bild aus verschiedensten, zunächst unabhängigen, zweidimensionalen Punkten zusammensetzt, so setzt sich auch das Verständnis eines Buches aus vielen einzelnen Informationen zusammen.
Zweidimensional: Man betrachtet die gegebenen Informationen aus Sicht der vordergründigen Handlung.
Mehrdimensional: Man betrachtet die gegebenen Informationen aus einer anderen Fragestellung heraus.

Z.B. obige Fragestellung: Wenn Horus uns diesen Unterschied zwischen Giebra und Sam B. verdeutlichen möchte, wie könnte er das noch tun?
Denn ein einzelner Hinweis kann kein dreidimensionales Bild ergeben, erst viele Punkte machen ein Bild.
Naheliegend sind da z.B. die Namen.
Alexander Giebra (ich finde die Akzente nicht), das klingt nach Feingeist, nach Kreativität, einem französischen Autorenfilm vielleicht.
Sam B., das klingt nach einer Person aus einem Action-Kracher.
Aber halt: wie heisst sie wirklich: Samantha Bergström. Sie vereint also verschiedene Eigenschaften in sich. Horus wechselt ihren Namen zusammen mit den Eigenschaften, die gerade hervorspringen. Mal ist sie Samantha, mal Sam B., mal die Bergström. Das ist alles kein Zufall, spielt aber für die vorderrgündige Action keine Rolle. Es ist ein Entwicklungsroman, wir haben hier erst den Anfang. Das Bergström von Sam B. wird vermutlich im Laufe der Trilogie an Bedeutung gewinnen.

Weitere Punkte, die sich zum Bild zusammenfügen:
Kronos: die hektische Stadt, in der es um das schnelle Geld geht, ein Symbol für Sam B. bzw. für Vordergründigkeit
Baijaku: die manifestierte Entschleunigung, scheinbar zurückgeblieben, immer als 'Hinterwäldler'-Planet deklariert. Vordergründig gesehen bleibt es genau das: ein Hinterwäldlerplanet. Schaut man hinter die Kulisse (und Kulissen gibt es in Hyperdrive ständig und überall, z.B. auch der Bombengürtel in der Attentatszene), erkennt man, dass Baijaku kulturell und philosophisch weit vor Kronos und der UON liegt. Baijaku ist gleichzeitig Giebras Wahlheimat, sozusagen sein wirkliches Zuhause.

Und auch im Gegensatzpaar UON/Anthrochora und vielen weiteren kleinen und großen Hinweisen findet man dieses Gesamtbild bzw. eines der anderen Gesamtbilder (Horus hat mehrere Schichtungen übereinandergelegt).

Du warst jetzt gerade zunächst Sam B. (als Du das Bild noch nicht erkennen konntest) und anschließend Giebra (als Du es erkannt hast). Und jetzt kannst Du nicht mehr auf das Bild schauen, ohne es Dreidimensional zu sehen, oder?

Hyperdrive besteht aus mehreren dieser Bilder. Man kann den Vordergrund betrachten (wie Sam B. es meistens tut) oder die verschiedenen Dimensionen. Man kann das, was gesagt wird, als bare Münze nehmen, oder hinter die Kulissen schauen, wie es wirklich ist. Sich eine eigene Meinung bilden. Es können sehr unterschiedliche Aussagen dabei herauskommen, häufig welche, die das Entgegengesetzte der vordergründigen Story zeigen, wie z.B. in der Verhörszene.

Das Ganze ist ein Paradoxon:
Um es zu verstehen, muss man es verstanden haben.
Bzw. um das Bild zu erkennen, muss man es erkannt haben.

(ein Erklärungsansatz hierfür, der sich in er Erzählstruktur von Hyperdrive zum Teil widerspiegelt: http://de.wikipedia.org/wiki/Hermeneutischer_Zirkel)

Hat man es einmal erkannt, erkennt man es immer sofort.
Aber wie erkennt man es das erste Mal?
Genau so ist es mit Hyperdrive.

Und jetzt mit all dieser Info ein neuer Versuch.
Stell Dir Giebra vor als den, der nicht nur solche Bilder sofort erkennt, sondern dem sich auch die tiefere Bedeutung von Büchern sofort offenbart. Was ja eine sehr unterschwellige, unbewusste Eigenschaft ist. Es ist kein bewusstes Erkennen, nichts was man Erzwingen oder Steuern kann. Wie Du gerade selbst beim Erkennen obigen Bildes erfahren hast.
Stell Dir vor, Du wolltest genau diese Eigenschaft, dieses unbewusste, nicht steuerbare Talent in einer Geschichte verdeutlichen. Du hast aber die Auflage, dass in der Szene Giebra einen Cyberhack macht. Du darfst also nicht hinschreiben, dass Giebra genau diese Eigenschaft hat, sondern Du musst es hintergründig in dieser Szene unterbringen.
Hättest Du mit folgendem Text Dein Ziel erreicht?
Erkennst Du jetzt an dieser Stelle das Bild?
Erkennst Du Deine Erfahrung beim Erkennen obigen Bildes in dieser Szene wieder?
Auf den Gläsern seiner Ray-Ban offenbarte sich der Ort als das, was er jenseits der Interface-Darstellungen war: in schrillen Farben bemalte Leinwände gaukelten die plastische Landschaft einer Stadt vor. Wenn man allerdings die Illusion erkannte, das angeblich sich vor einem ausbreitende Tableau als eine Wand überlappender 2-dimensionaler Abbildungen erkannte, konnte man durch das Labyrinth ihrer Gassen schlüpfen, Schicht um Schicht, Vorhang um Vorhang, bis sich dahinter die wahre Stadt offenbarte.
...
Er konnte sie sehen, riechen, spüren. Das war seine Stärke, das war seine Fähigkeit. Er musste sie nur durch die geeigneten Mittel verstärken. Sammie hatte nicht bemerkt, dass er bei der ganzen Verkabelung auch einen Stecker auf der ihr abgewandten Seite am Bügel seiner Brille angebracht hatte. Über die verdeckten Troden hinter der Ohrmuschel speiste seine Ray-Ban, den psychogenen Datenstrom des LuciDat direkt in sein Gehirn. Und die unterschwelligen Bilder, die sein Gehirn produzierte wurden direkt verstärkt auf die Innenseite seiner Brillengläser projiziert, so dass sie von schemenhaften Visionen zu wirklichen Bildern wurden, klar und sichtbar wie die Dinge der materiellen Welt. Es war eine spezielle Gabe, so etwas wie Synäthesie, eine Anlage, ein schwaches, fast unbemerkbares Flämmchen. Durch einen Zufall und durch Experimentieren hatte er sie entdeckt und herausgefunden, wie er sie so verstärken konnte, dass sie ihm wirklich nützlich war. Es gab ihm einen entscheidenden Vorteil gegenüber Leuten, die schlicht an einem Terminal arbeiteten und nur die Bildschirmoberfläche sahen. Er sah dank seiner Befähigung und der Verstärkung durch die psychogenen Datenströme hinter das Interface. Er war in der Datensphäre. Mit all seinen Sinnen. Er sah sie, ihr Licht, ihre Schattierungen, er schmeckte sie, er roch sie, er spürte ihre Luftströmungen, ihren Nebel, ihren Regen, und ihre Unwetter knisterten auf seiner Haut.

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Re: Hyperdrive

Beitrag von minkey » Di 17. Dez 2013, 09:27

Und hat jeder mittlerweile das Bild erkannt und die Stelle im Buch auch?

Ein bisschen Off-Topic was Hyperdrive angeht, aber nicht was Horus angeht.
Ich habe das neue Cover bei Facebook erspäht und finde es ziemlich cool...

Bild

Wenn ich es richtig verstanden habe, wird das Buch 4,99 kosten und ab dem 24.12. eine Weile für 0,99 zu haben sein. Noch ist es allerdings nicht zu haben. Keine Ahnung, wann es bei Amazon drin sein wird.

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Hexodus
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Re: Hyperdrive

Beitrag von Hexodus » Do 13. Feb 2014, 18:37

Da Du es gelesen und rezensiert hast, ist es wohl schon ne Weil erhältlich ;)

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Re: Hyperdrive

Beitrag von minkey » Do 13. Feb 2014, 20:15

Ähm, Hexodus? Mein Post war doch vom 17.12., also schon ein Weilchen alt.

Oder ist das ein Hint, dass Du das Buch jetzt auch gelesen hast?

<Grübel, Kopfkratz>

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Re: Hyperdrive

Beitrag von Hexodus » Fr 14. Feb 2014, 12:17

Stimmt, habe das offensichtliche übersehen ;)

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Horus W. Odenthal
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Re: Hyperdrive

Beitrag von Horus W. Odenthal » Fr 23. Mai 2014, 20:04

Hier ist ja einiges passiert. Aus irgendeinem Grund habe ich keine Benachrichtigungen mehr gekriegt und dachte, die Leserunde sei so im Sande verlaufen. Flasch gedacht.
Dugan spuckt Walser genau zentral an: Dugan sieht in diesem Moment Walser als das, was er am Meisten an sich selbst hasst, er sieht in Dugan seine eigene Vergangenheit als UON-Soldat.
In der Spucke ist Dugans Blut: Dugan und Walser sind sozusagen aus dem gleichen Holz geschnitzt, sie haben das gleiche Blut, sind sich sehr ähnlich, quasi seelenverwandt. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort hätte diese Szene sozusagen mit beiden Personen genau andersherum stattfinden können. Oder zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort könnten diese beiden dickste Freunde sein, Blutsbrüder.
Hier und jetzt aber sind sie die größten Feinde.
Genau auf den Punkt getroffen, minkey. Freut einen immer sehr, wenn die Telepathie, die Literatur idealerweise ist, auch 1 zu 1 beim Empfänger ankommt.

Ich lese denn mal weiter.

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Horus W. Odenthal
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Re: Hyperdrive

Beitrag von Horus W. Odenthal » Fr 23. Mai 2014, 20:14

die hermeneutische Spirale
ist ein interessantes Bild. Genauso sollte meienr Meinung nach ein gutes Buch funktionieren. Und das aus einem sehr einfachen Grund: Ein Buch, das es nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, ist es auch nicht wert einmal gelesen zu werden. Während ich schreibe – und so funktioniere ich nun einmal, das ist nichts Raffiniertes, ich gehe dabei von mir selber als Leser aus – will ich dem Leser etwas für den ersten Leseprozess mitgeben, aber auch für das erneute Lesen, dass dann zu einem tieferen Verständnis führt. Die simpelste Art davon tritt einem oft in Krimis oder Thrillern entgegen. "Mein Got, warum habe ich das nicht früher gesehen; es lag doch alles auf der Hand."

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