Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

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minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:51

Minkey
Horus hat geschrieben:Ja, die Namen.
Aurics Geschichte bildet sich auch gewissermaßen in den Namen ab, die ihm gegeben werden.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich alles auf verschiedenen Ebenen, auch in kleinen Details wiederholt.

Wobei ich einfach mit Wahnhammer nichts verbinde. Ist das eine konkrete Referenz? Und wo liegt der Unterschied zwischen Orik und Auric? Gibt es da mehr, als den sehr viel roheren Klang von Orik?

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:52

Horus
Minkey hat geschrieben:Wobei ich einfach mit Wahnhammer nichts verbinde. Ist das eine konkrete Referenz? Und wo liegt der Unterschied zwischen Orik und Auric? Gibt es da mehr, als den sehr viel roheren Klang von Orik?
Ja. Orik ist der eigentliche Name des Protagonisten, der ihm von seinem Vater gegeben wurde. (Das wird nie ausgesprochen. Der Leser kann es sich denken oder auch nicht.) Auric ist die Version des Namens, die seine Mutter ihm gegeben hat, ein idirischer Name, aus der zivilisierteren Kultur, aus der seine Mutter stammt. Natürlich lehnt Auric seinen valgarischen Namen ab. Wenn man das Buch genau liest, wird man feststellen, dass alle Valgaren ihn (zumindest die, die er in seiner Jugend kennt, Orik nennen).
Wahnhammer ist einfach der Spottname, den ihm sein Freund gegeben hat, weil er, so findet er, immer diese total verrückten Ideen ohne Sinn und Verstand hat.

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:53

Minkey
Horus hat geschrieben:Der Leser kann es sich denken oder auch nicht.
Nach der Vater/Sohn/Axt-Szene war für mich schon klar, dass Orik vom Vater und Auric von der Mutter kam. Passt ja auch klanglich gut, vor allem wenn man den versoffenen Schrei des Vaters im Ohr hat.

Ich meinte jetzt eher, ob eine bestimmte Person aus dem Fantasygenre Pate gestanden hat oder es mit der Namensherkunft zu tun hat oder so. Bei Wahnhammer kommt z.B. schnell die Assoziation Warhammer auf.

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:54

Horus
Horus, in Deinem Blog schreibst Du, Du würdest beim Schreiben Deiner Intuition folgen. Ist das wirklich Intuition? Dann hast Du eine verdammt stark strukturiende und abstrahierende Intuition.
Puh, hätte nicht gedacht, dass irgendjemand so genau versteht, was ich da alles zusammengebraut habe (und weil ich das immer nicht so wirklich glaube, nuschelt man auch meist schüchtern darüber hinweg).

Aber zu der Frage: Es ist neben dem linearen Schreiben immer ein Puzzeln, als würde man ein Mosaik zusammensetzen, das einer höheren Logik folgt. Natürlich wirkt dabei der strukturierende Verstand mit und die Erfahrungen, die man bisher mit Literatur gemacht hat. Aber in den meisten Fällen gehen die Entscheidungen über den Verstand hinaus – sie fühlen sich richtig an. Das meine ich mit Instinkt. Da weiß etwa in dir mehr als der Verstand. Der bleibt besser auf dem Beifahrersitz. Du weißt, was richtig ist. Das ist nicht so sehr, als würde man eine logisch strukturierte wissenschaftliche Arbeit verfassen, das ist vielmehr, als würde man Musik machen. Man improvisiert über das eigene Muster. Die Harmonik, das Akkordschema ist so ins Unterbewusstsein gesunken, dass es irgendwo selbstverständlich da ist, aber würde man versuchen, die eigene Melodielinie nur mit dem Verstand zu planen, würde man elendiglich verrecken. Man muss loslassen und einen weiseren Teil entscheiden lassen. Den nenne ich das instinktive Vieh. Und man muss ihm Vertrauen. Wenn man etwas wirklich Gutes machen will, muss man an den Punkt des Wagnisses kommen, des sich Fallenlassens, wo es verdammt schief gehen kann aber auch etwas Wunderbares entstehen kann. Und wenn du dich ganz fallenlässt und vertraust, geschieht nur das Wunderbare. (Und wenn du am nächsten Morgen den ganzen Bullshit streichst, den du da fabriziert hast. Hemmingway hat sinngemäß gesagt, eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Schriftstellers, sei Bullshit zu erkennen, wenn man ihn sieht. Er hat auch gesagt (sinngemäß): Schreibe besoffen, aber redigiere nüchtern. Und das ist iregndwie auch die Antwort auf deine Frage.
Springsteen hat auch mal etwas Gutes dazu gesagt.
Er interpretiert bei VH1 Storytellers endlos an einem seiner eigenen Songs herum und am Schluss sagt er (wieder sinngemäß): "Und jetzt werden sie fragen, hast du damals, als du den Song geschrieben hast, das alles damit sagen wollen? Ich antworte darauf: Ja. Aber ich habe erst später verstanden, dass ich das alles damit haben sagen wollen."
Das macht der Instinkt, und wenn man klug ist, lässt man ihn machen. Er ist der klügere Teil von dir. Der Verstand hält sich im Hintergrund und schiebt den kleinen Chaoten zum Flügel, legt ihm die Hand an die Tasten, wischt ihm das Schnäuzchen ab, bindet ihm die Schnürsenkel und passt auf, dass er zwischendurch nicht in das Piano kotzt und nicht aus der Blumenvase säuft.

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:54

Horus
Ich meinte jetzt eher, ob eine bestimmte Person aus dem Fantasygenre Pate gestanden hat oder es mit der Namensherkunft zu tun hat oder so. Bei Wahnhammer kommt z.B. schnell die Assoziation Warhammer auf.
Nein, keine Vorbilder, keine Paten. Der Name steht für sich. Am ehesten habe ich dabei noch an Richard Wagners Villa Wahnfried gedacht.

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:55

Dude
Minkey hat geschrieben:- Heftiger Bruch mit dem üblichen Plot des Fantasygenres (Junge entwickelt sich zum Helden) ohne ihn gleichzeitig wirklich zu verlassen.
Hm, seh ich nicht wirklich so. Junge Helden als Protagonisten findest du relativ oft. Zugegeben wirken die dann meist überordentlich reif für ihr Alter, Auric hat aber auch nicht wirklich Eigenschaften, die man nicht auch einem Erwachsenen zuordnen könnte. Oder hab ich dein "verlassen" falsch interpretiert?


Was die Lernkurve angeht.
Erikson kenne ich leider nicht. Aber bei Ice and Fire hatte ich trotz englischer sprache nie das Gefühl, überfordert zu sein. Im Gegensatz zu dir hält sich Martin an konventionelle Fantasy-Strukturen. Neue Dinge werden breit und langsam eingeführt. Als Leser ist man aber nie wirklich überrascht oder verwirrt (ging zumindest mir so). Unerwartete Dinge (the others, wargs etc.) lernt man zusammen mit den Hauptpersonen kenne, für die dies auch komplett neu ist.
Was ich damit sagen will: Die Herausforderung lag für mich weniger im Aufnehmen neuer Fakten, sondern im Angewöhnen von neuen Erzählarten (Sprache und Erzählart als Stilmittel), in einer Vielschichtigkeit, die ich als normaler, vorurteilsbelasteter Leser nicht erwartet hatte. Im Nachhein nichts negatives, allerdings hat der Mensch instinktiv eine Ablehnung gegenüber Unbekanntem.
Als Beispiel nannte ich mal Goethes Werther, der bei der ersten Berührung auch extrem abschreckend wirkte. Mittlerweilen liebe ich das Buch^^

Mal sehen, wie sichs entwickelt. Seit dem Bezwingen der ersten Ninrae - Szenen fühle ich mich in Ninragon immer wohler. Entweder habe ich mich mittlerweilen daran gewöhnt oder die folgenden Ninrae-Stellen sind nur noch halb so verwirrend wie die Einleitung.
Vlt. schaff ichs ja doch noch, meinen inneren Barbaren zu einem Ninrae zu entwickeln.
Zuletzt geändert von minkey am Sa 27. Okt 2012, 14:56, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 14:56

Minkey
Dude hat geschrieben:- Heftiger Bruch mit dem üblichen Plot des Fantasygenres (Junge entwickelt sich zum Helden) ohne ihn gleichzeitig wirklich zu verlassen.

Hm, seh ich nicht wirklich so. Junge Helden als Protagonisten findest du relativ oft. Zugegeben wirken die dann meist überordentlich reif für ihr Alter, Auric hat aber auch nicht wirklich Eigenschaften, die man nicht auch einem Erwachsenen zuordnen könnte. Oder hab ich dein "verlassen" falsch interpretiert?
Ja, das habe ich genau andersherum gemeint... ;)

Der übliche Fantasy-Plot ist doch eher (abgesehen von moderner Fantasy wie GoT, Abercrombie etc.): Das auserwählte Kind reift zum Helden. Den heftigen Bruch sehe ich darin, dass hier die Kinder aufs Schlachtfeld geführt werden, aber euphemistisch gesagt, eben nicht zum Helden werden. Aurics Vater, kann man (wenn man möchte) stellvertretend als 'klassische Fantasy' sehen, Aurics Mutter ist dann die 'Literatur'. Aurics Vater schickt Auric mit dem Jungtrupp in die Schlacht, in diesem Sinne verlangt die klassische Fantasy ihren 'üblichen' Plot. 'Sei der Sohn, den ich verdiene', sagt der Vater in der Axtszene.

Genau wie Auric die Gewalt seines Vaters und die Bildung seiner Mutter in sich vereint, genauso ist Ninragon ein Versuch Fantasyunterhaltung und Literatur zu vereinen. Wie gesagt, man findet alles in verschiedensten Schichtungen wieder.

Mit 'Ohne ihn gleichzeitig zu verlassen' meinte ich: Auric überlebt, in diesem Sinne und auch nur in diesem Sinne, wird der 'Junge wird Held'-Plot hier nicht verlassen. Der Protagonist stirbt nicht, das wäre in der Konstruktion auch nicht möglich. Und in gewissem Sinne wird Auric in der Schlacht zum Helden. Obwohl er seinen Vater ablehnt und nicht wie sein Vater werden will.

So lese ich das zumindest und so finde ich das schlüssig.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 15:00

Horus
Dude hat geschrieben:Was ich damit sagen will: Die Herausforderung lag für mich weniger im Aufnehmen neuer Fakten, sondern im Angewöhnen von neuen Erzählarten (Sprache und Erzählart als Stilmittel), in einer Vielschichtigkeit, die ich als normaler, vorurteilsbelasteter Leser nicht erwartet hatte.
Was du als ungewohnt empfindest war für mich eine Selbstverständlichkeit. In der "normalen" Literatur ist es ein Standard, dass der Stil, die Erzählstimme genutzt werden, um Personen und Situationen zu charakterisieren, um Atmosphäre zu schaffen, und dass dazu dieser Sprachstil auch innerhalb eines Werkes variiert wird. Der Stil ist Teil der Beschreibung. Wenn ich in geschraubten, leicht betulich verdrehten Sätzen eine Teegesellschaft beschreibe oder das Ambiente des Salons, in dem sie abgehalten wird, brauche ich nicht mehr viele Details anzuführen, die etwas staubige, konventionelle Atmosphäre wird schon allein durch die Wortwahl oder den Lauf der Sätze klar.
Und da für mich auch Fantasy "normale" Literatur ist (siehe meine Bemerkungen dazu auf meinem Blog: Blogpost), sah ich keinen Grund, das bei Ninragon anders zu halten. Ich bin eher überrascht, dass dies für Leser etwas Neues ist, kann es aber verstehen, wenn ich mir den Status Quo des Durchschnitts der Fantasy anschaue.
Da wird selten konsequent mit dem Variieren der Erzählstimme gearbeitet, und wo das geschieht (zum Beispiel Abercrombie macht das durchgängig und es ist Teil seines Stils) wird es durch eine arschglatte Übersetzung weggebügelt, die im schlimmsten Fall auch noch einen frischen, modernen Ton verquast mit Mittelalterglasur überzieht.
Bei Abercrombie ist es oft weniger deutlich, da seine Helden oft gleich ruppig sind und auch diesen Ton annehmen. Aber zwischen den Kapiteln die aus der Perspektive des Hundmann und z.B. Glokta geschrieben sind, gibt es doch deutliche Unterschiede des Stils. Was ich immer bei Abercrombie als nun ja, Mangel ist ein starkes Wort, aber als fehelend empfunden habe, ist das Ausbleiben ganz anderer Stimmen. Das Spektrum ist ziemlich eng. Wo bleiben die Gebildeten, die auch wie Gebildete denken und wo sich das auch in der Sprache ihrer Perspektive niederschlägt. Wo sind die Schöngeister? Die muss es doch auch in seiner Welt geben. Diese Register gibt es bei mir. Und vielleicht ist man zunächst irritiert, weil man als Fantasy-Leser das gar nicht so sehr gewohnt ist.
Aber stellen wir uns doch einmal vor die Perspektive des Herrn der Ringe würde nahe an seine elbischen Figuren herangehen. Etwa an Elrond oder Galadriel. Wie fremd müsste eine Erzählung aus der Sicht von Galadriel wirken oder gar ein Stream-of-Consciousness aus ihrer Perspektive.
Wenn ich darüber nachdenke: Vielleicht ist es für den Leser überraschend, dass ich Fantasy behandele, als wäre sie ein ganz normaler Teil der Literatur, kein geschütztes Biotop, kein Themenpark, kein "Genre". Hier gelten die ganz normalen Regeln. Das ist für mich eine Form des Respekt vor dem Leser, den ich ernst nehme, und ein Respekt vor meiner Lieblingsliteratur, die ich genauso ernst nehme wie jede andere Form der Literatur. Genauso ernst wie einen Roman von Thomas Mann oder Philip Roth oder Daniel Kehlmann.
Vielleicht ist das die Irritation:
Hey, Leute, wir sind Teil der Literatur, kein Haufen von tumben Eskapisten, und wir sollte genau so ernst genommen werden und wir sollten uns selber genauso ernst nehmen.
Es ist alles Literatur. Und alles Literatur ist Unterhaltung.
Ganz egal, was das Feuilleton dazu sagt.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 15:00

Minkey

@Dude: Anschliessend an die Erklärung von Horus, passen die gerade gelesenen Stellen gut: Stell Dir wie in meinem Post von gestern mal den Vater, Mutter, Auric symbolisch vor, für Fantasy im Sinne von Unterhaltung, Literatur und der Vereinigung von beiden. Auric und Ninragon sind ohnehin eins, dass Buch heisst wie der Protagonist und betrachte mal den Plot zwischen Vater, Mutter, Auric. Da wird einem sehr viel klar.

Ich habe ziemlich lange gebraucht, um diese 3. Ebene zu sehen, wie gesagt, ich habe das Buch auch erst als Barbar gelesen, bin aber schon 2mal durch, hatte also etwas Zeit zum Ninra zu reifen... ;)

Jedenfalls wenn man das so betrachtet, stellt man fest, dass die Geschichte nicht nur als Plot völlig schlüssig ist, sondern auch auf dieser Ebene, passend zum eben Geschriebenen von Horus. Sozusagen die Botschaft in den Wisperschichten, um in der Ninra-Sprache zu bleiben.

Ich bin in der weiteren Diskussion gespannt, ob wir noch mehr solche Stellen finden. Es gibt einige Szenen, bei denen ich Ähnliches vermute, aber die Wisperschichten für mich bedeutungslos sind. Mal sehen... :)

Ohne etwas zu verraten: Gerade der Schluss der Trilogie ist sehr stark symbolgeprägt (was nebenbei bemerkt auch wieder sehr schlüssig ist, u.a. zur Wandlung des Lesers vom Barbar zum Ninrae. Dies ist für mich eine neue Erkenntnis, die ich aus der gestrigen Diskussion gewonnen habe. Das macht wirklich Spass hier... :) )

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Sa 27. Okt 2012, 15:01

Minkey
Horus hat geschrieben:Und da für mich auch Fantasy "normale" Literatur ist (siehe meine Bemerkungen dazu auf meinem Blog...)
Sehr treffend gesagt (im Blog)

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