Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

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theDude
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von theDude » Di 30. Okt 2012, 10:59

Was den mainstream-diskussion angeht, lohnt es sich vlt., mal die Rezensionen auf amazon anzuschauen.
positive Rezension: gefällt, da blutiger, schmutziger, realistischer als das herkömmliche Fantasy
negative Rezension: gefällt nicht, da blutiger, schmutziger, realistischer
Sicher gut die Hälfte gibt sich überrascht, solch ein Werk im Reich der Fantasy zu finden, egal ob jetzt positiv oder negativ überrascht.

Klar, wenn man Fantasy so definiert, wie auf Horus' Blog (inkl. beispielsweise dem Nibelungenlied), dann passt Ninragon ins Gesamtbild.
Vlt. hat auch eine Wende seit den 80ern angefangen. Bei mir (und anscheinend auch bei einigen der anderen Leser) ist die auf jeden Fall noch nicht angekommen.


Aber eigentlich wollte ich ja über die Ninrae-Szenen schwafeln :)

Wie minkey mal schrieb, ist Ninragon ein Entwicklungsroman. Dabei steht nicht nur Auric im Zentrum, sondern mind. ebenso Darachel.
Während Auric in Richtung Kultur strebt, ist für mich die Welt in Himmelsriff eine Perversion dessen, was bei zu viel Kultur entstehen könnte, nämlich arrogante Abschottung und Verlust der Realitätsnähe. Während sich Auric gegen seine Barbarenwurzeln auflehnt, kommen Darachel Bedenken (resp. er entwickelt Gefühle weiter, die er schon von seinem Vater "erbte") bezüglich seines Erbes. Bei Auric ist die Situation relativ klar. Böser Vater, böse Skrimaren, abergläubische und dumme Traditionen. Er bricht aus einem tierischen Umfeld aus.
Bei Darachel ist, wie eigentlich alles bei den Ninrae, die Situation viel komplexer. Es gibt den polarisierenden Enthravan, der Auric der Irrdenkerei beschuldigt und für den die Aszension der einzig wahre Weg darstellt. Daneben steht Darachels Enthravan-Mentorin, die eine etwas neutralere Position einnimmt. Sie teilt weder Darachels Bedenken, noch den "Phanatismus" der restlichen Gemeinschaft. Ihr geht es nur um Verständnis. Sie erinnert mich von ihrer Art sehr an Aurics Mutter.
Darachels "Verschwörergruppe" experimentiert im Geheimen, aus Angst vor Missbilligung und Ausschluss. Dabei geht Darachel, wenn auch gespiegelt und viel subtiler, prinzipiell den gleichen Weg wie Auric und zerschlägt gleichzeitig das ursprüngliche Bild (Ninrae/Idirer gut, Barbaren böse).
Ausserdem gibts da noch den Silaé (Bogenfall des Lichts?), den ich momentan noch gar nicht einordnen kann.

Hier komm ich zu dem, was ich oben erwähnt habe. Obwohl die Entwicklung von Darachel umweltbedingt viel komplexer ist, wird ihr viel weniger Platz im Buch eingeräumt. Darum sehe ich in den Schlachtenszenen eher die "gemütlicheren" Teile des Buches, wobei die anderen mindestens ebenso wichtig sind.
Insofern sind die abgedrehten Ninrae-Szenen halt doch extrem informationsgespickt. Es passiert doch relativ viel im Hintergrund, es ist nur schwerer zu entdecken.

@minkey
Würd mich interessieren, inwiefern du Darachels Rebellion in deine Metaebene eingliedern möchtest. Siehst du in Darachel den Autoren, in den Ninrae "gehobene" Literatur?
Und natürlich bleibt da noch Virri..

Allgemein existiert in Ninragon eine Vorliebe für "Helden", die sich gegen ihre Kultur auflehnen (und dadurch natürlich zu teilweise unheldenhaften Aktionen gezwungen werden). Ein weiterer in der Reihe wäre Ikhun. Fehlt nur noch ein entsprechender Idirer, um alle Völker zu bedienen :)

@Hexodus
Was mich extrem interessieren würde, wie war dein erster Leseeindruck von Ninragon? Kannst du mein Gefühl eines eher schwierigen Einstiegs bestätigen?

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Di 30. Okt 2012, 11:30

theDude hat geschrieben:Wie minkey mal schrieb, ist Ninragon ein Entwicklungsroman. Dabei steht nicht nur Auric im Zentrum, sondern mind. ebenso Darachel.

Sehr richtig. Es gibt viele Parallelen zwischen Auric und Darachel. Sie bewegen sich aus entgegengesetzten Extremen aufeinander zu. Sowohl indem sie miteinander kommunizieren, als auch durch ihre Abkehr von ihrem Umfeld.
theDude hat geschrieben:Während Auric in Richtung Kultur strebt, ist für mich die Welt in Himmelsriff eine Perversion dessen, was bei zu viel Kultur entstehen könnte, nämlich arrogante Abschottung und Verlust der Realitätsnähe.
Ich kopiere einfach mal einen Ausschnitt aus Wikipedia zum Begriff 'Elfenbeinturm':
Wikipedia: Elfenbeinturm hat geschrieben:...Forschung und Produktion von Kunst im Elfenbeinturm bezeichnet einen Intellektuellen, der einzig für seine Aufgabe lebt und sich nicht um die gesellschaftlichen Folgen seiner Tätigkeit kümmert, sondern einzig nach wissenschaftlicher und künstlerischer Wahrheit sucht. In dieser Verwendung mischt sich in dem Ausdruck Spott über einen weltabgeschiedenen Gelehrten mit der Bewunderung für einen Menschen, der sich mit all seiner Kraft einer edlen Aufgabe (deshalb Elfenbein) widmet....
theDude hat geschrieben:Bei Darachel ist, wie eigentlich alles bei den Ninrae, die Situation viel komplexer. Es gibt den polarisierenden Enthravan, der Auric der Irrdenkerei beschuldigt und für den die Aszension der einzig wahre Weg darstellt. Daneben steht Darachels Enthravan-Mentorin, die eine etwas neutralere Position einnimmt. Sie teilt weder Darachels Bedenken, noch den "Phanatismus" der restlichen Gemeinschaft. Ihr geht es nur um Verständnis. Sie erinnert mich von ihrer Art sehr an Aurics Mutter.
Darachels "Verschwörergruppe" experimentiert im Geheimen, aus Angst vor Missbilligung und Ausschluss. Dabei geht Darachel, wenn auch gespiegelt und viel subtiler, prinzipiell den gleichen Weg wie Auric und zerschlägt gleichzeitig das ursprüngliche Bild (Ninrae/Idirer gut, Barbaren böse).
Ausserdem gibts da noch den Silaé (Bogenfall des Lichts?), den ich momentan noch gar nicht einordnen kann.
Du hast in der Aufzählung Darachels Vater vergessen, der aus Himmelsriff verstossen wurde. Darachel hat Angst ebenfalls verstossen zu werden, in diesem Sinne hat er Angst, wie sein Vater zu werden. Eine Parallele zu Auric.
theDude hat geschrieben:Hier komm ich zu dem, was ich oben erwähnt habe. Obwohl die Entwicklung von Darachel umweltbedingt viel komplexer ist, wird ihr viel weniger Platz im Buch eingeräumt. Darum sehe ich in den Schlachtenszenen eher die "gemütlicheren" Teile des Buches, wobei die anderen mindestens ebenso wichtig sind.
Insofern sind die abgedrehten Ninrae-Szenen halt doch extrem informationsgespickt. Es passiert doch relativ viel im Hintergrund, es ist nur schwerer zu entdecken.
Du hast ja auch erst etwa 1/6 der gesamten Geschichte gelesen. Im Moment wird die Handlung hauptsächlich durch Aurics Erzählung getrieben.
theDude hat geschrieben:@minkey
Würd mich interessieren, inwiefern du Darachels Rebellion in deine Metaebene eingliedern möchtest. Siehst du in Darachel den Autoren, in den Ninrae "gehobene" Literatur?
Ich denke, es ist mit dem Elfenbeinturm bereits alles gesagt, oder? Den polarisierenden Enthravan kann ich mir hübsch als einen der Literaturpäpste vorstellen. Insofern ist der Kaufmann aus der Kaufmannszene vielleicht doch eher ein Verleger...
theDude hat geschrieben:Und natürlich bleibt da noch Virri..
Über den ich auch noch nachdenke...
Zuletzt geändert von minkey am Di 30. Okt 2012, 16:12, insgesamt 1-mal geändert.

minkey
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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Di 30. Okt 2012, 12:04

Wir befinden uns übrigens gerade nahezu ausschließlich in den Wisperschichten der Ninrae.

Man kann das Ganze natürlich auch in den anderen beiden Sprachen der Ninrae betrachten:

In der Sprache der Physis als Actionspektakel, bei dem es um die Rettung Idiriens geht.

Oder in den Mittlerschichten als Entwicklungsroman von Auric und Darachel.

Es hat mich viel Zeit gekostet, bis ich das kapiert habe. Hmm, ich glaube, ich muss Ninragon einfach nochmal lesen (diesmal die Wisperschichten ;) )

Wobei ich wirklich hoffe, dass Dir das Lesen jetzt noch genauso viel Spass macht, wie mir, als ich diese Wisperschichten noch nicht durchschaut habe. Das nimmt ja auch ein bisschen die Realität der Welt und den Ernst der Sprache der Physis weg.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Di 30. Okt 2012, 13:48

theDude hat geschrieben:Und natürlich bleibt da noch Virri..
Ich habs: Virri und Kaustagg in den Wisperschichten:

Kaustagg ist der Flüsterer, der Verführer, schwafelt immer über die vergangenen Heldentaten, denen die Jungs folgen sollen.
Virri ist der intelligente, feingeistige Junge, ähnlich wie Auric, mit der Veranlagung mehr aus sich zu machen, aber er lässt sich von Kaustagg verführen und zerbricht daran.

Ich sehe Virri, als den verwirrten (virri) Autor, der sich, statt neues zu entdecken, statt wie Auric es anstrebt, Literatur und Unterhaltung in sich zu vereinigen, von den alten Fantasygeschichten verführen lässt und diese lediglich, womöglich auch noch schlecht, nachahmt. (@Horus: Danke für den Vater-Sohn-Tipp, es dauerte, bis ich Virri als Autor mit Auric als Buch kapiert habe.)

Auric vereint in gewisser Weise Autor, Leser und Buch (Ninragon) in sich.
Virri tut dies in gewisser Weise ebenfalls (allerdings nicht als Leser von Ninragon, der Leser von Ninragon identizifiert sich mit Auric.).

Mit dieser Sicht wird der Bruch bei der ersten Schlacht zur 'herkömmlichen' Fantasy noch deutlicher.
Die alte, geheimnisvolle Festung steht für die alten Fantasyschriften, die früher mit Leben gefüllt waren.
Auric verweigert sich in der Schlacht der 'Tradition'.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von Horus W. Odenthal » Di 30. Okt 2012, 14:10

Ich glaube, wenn diese Leserunde vorbei ist, bleibt nicht mehr viel übrig, was über NINRAGON zu sagen ist. Man kann dann jeden, der etwas mehr über Struktur und Interpretationsmöglichkeiten etc. wissen möchte, getrost an diesen Thread verweisen.
Über einen weiteren Aspekt des Virri-Vater-Verweises möchte ich an dieser Stelle nichts sagen, da das ein FETTER SPOILER!!! für den Dude wäre (was für dich vielleicht ein Hinweis ist).

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von Horus W. Odenthal » Di 30. Okt 2012, 14:22

Und mit Mainstream meine ich nicht, was zur Zeit in Deutschland der feiste Hype ist, also nicht den Chart-Mist, sondern was tasächlich in der Fantasy passiert.
Richard Morgan: ein schwuler Held, zynisch weltmüde, schlachtmüde etc.
Joe Abercrombie, The Heroes. Ein dreitägige Schlacht um einen vollkommen wertlosen Hügel, ohne Gute und Böse, sinnlos, nur den Machtspielen der Strippenzieher dienend, bei dem am Ende "Held" zum ultimativen Schimpfwort wird, mit dem eine Frau den sie anbetenden "Krieger" als Zeichen höchster Verachtung belegt. Dieser Held ist ein Kerl mit einer Piepsstimme und einem Minderwertigkeitskomplex deswegen, der im menschlichen Umgang vollkommen untergeht, der sich nur als etwas wert empfinden kann, wenn er in der Schlacht Menschen tötet. War ein Megaseller in England.
Von der Art gibt es genug. Es landet halt nur nicht hierzulande auf den exponierten Büchertischen und wird nicht als die neue Sau durch Dorf getrieben.
In Deutschland, habe ich den Eindruck, mag man die Fantasy deutlich kuscheliger als anderswo.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von Horus W. Odenthal » Di 30. Okt 2012, 14:24

Heyne bringt viel von diesem Cutting-Edge-Zeug. Es lohnt sich, mal in deren Programm reinzuschauen.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Di 30. Okt 2012, 14:42

Horus W. Odenthal hat geschrieben:Über einen weiteren Aspekt des Virri-Vater-Verweises möchte ich an dieser Stelle nichts sagen, da das ein FETTER SPOILER!!! für den Dude wäre (was für dich vielleicht ein Hinweis ist).
:? Verdammt, was könnte das denn jetzt wieder bedeuten?!

Edit: Verstanden. :)
Zuletzt geändert von minkey am Di 30. Okt 2012, 16:08, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von minkey » Di 30. Okt 2012, 14:51

Horus W. Odenthal hat geschrieben:Heyne bringt viel von diesem Cutting-Edge-Zeug. Es lohnt sich, mal in deren Programm reinzuschauen.
Siehst Du Cutting-Edge als Mainstream oder nahe am Mainstream an? Ist Ninragon näher am Mainstream als Abercrombie?
Für mich klingt das eher danach, als würdest Du nicht alleine auf weiter Flur stehen. Gibt es auch deutschsprachige Autoren, die cutting-edge sind?

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Re: Leserunde zu "Ninragon" von Horus W. Odenthal

Beitrag von Horus W. Odenthal » Di 30. Okt 2012, 18:09

Wenn es um Verkäufe und Popularität geht, dann ist Abercrombie ganz fetter Mainstream, oder wie würdest du es nennen, wenn Plakate für deine Bücher rieisg in der Londoner U-Bahn hängen?
"Beiß mich aber zärtlich" ist nicht Mainstream, das ist Charts und außerdem ist es Urban Fantasy. Es gibt aber auch noch den Rest, und da sind die besagten Autoren wirklich populär. Jedes neue ihrer Bücher ist in den Ami-Blogs oder bei den Engländern ein automatisches Must-Read.
Wie gesagt, in Deutschland kommt eher etwas altbackeneres an. Ob es deutsche Autoren gibt, die Cutting-Edge sind, weiß ich niht, da ich auch noch nicht so viele gelesen habe. Bernd Frenz ist einer, der schon einmal die Fantasy querbügelt. Ich hoffe, er erhält noch viel mehr Möglichkeiten, so richtig rauszulassen, was in dem Kopf noch lauert. Ich glaube, da geht noch viel.

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